Mittwoch, 4. Juli 2007

Auszug aus meinem neuen Roman "Verfolgt"

Mara fuhr auf der Autobahn in Richtung München, es war April und immer wieder gingen heftige Schneeschauer nieder. Die Strasse lag vor ihr wie ein graues Band. Ein Hund stand auf einem kleinen Rastplatz und bellte, seine Ohren legten sich bei jedem Bellen flach an seinen gelblichen Kopf. Lastwagen überholten Mara, und sie musste sehr langsam fahren. Im Autoradio spielten sie Tom Waits, den sie wegen seiner rauen Stimme und seinem vagabundierenden, in Stücke zerbrochenen Leben gerne hörte. Sie war nervös und fühlte sich erschöpft. Die Musik war eine starke Medizin.

Der Wind trieb dichte Flocken vor die Autoscheiben und bei der nächsten Raststation bog sie ab, um zu tanken. Die Bäume wurden von einer heftigen Windböe geschüttelt, der Winter zog sich in diesem Jahr endlos in die Länge. Man konnte schwer sagen wie alt Mara war, sie hatte einen schmalen Körper, ihre Wangen waren kühl
Sie kaufte sich einen Kaffee in einem Pappbecher, an dem sie sich die Zunge verbrannte und suchte dann die Toilette, in der eine dicke Frau saß in einer bunten Schürze, um Münzen einzusammeln. Auf ihrer Oberlippe sprossen schwarze Barthaare und sie trug eine Metallkette um ihr Handgelenk. Mara sah in den Spiegel, regungslos. Ihr schwarzes Haar fiel bis auf ihre Brüste, die eher klein waren, es lag auf ihren Schultern wie verwelktes Gras. Ihre glänzenden, nussbraunen Augen machten nicht den Eindruck, als würden sie etwas sehen, sie waren hypnotisiert, starr. Sie trug eine randlose Brille, und presste die Lippen aufeinander. Sie hatte etwas Geheimnisvolles an sich, ihre Haut war eher dunkel, olivfarben so dass sie immer sonnengebräunt aussah, auch im tiefsten Winter. Alles war still, man hörte nur den leise rasselnden Atem der alten Frau.
Mara spürte ein Kratzen im Hals und wusch sich flüchtig die Hände. Sie horchte nach draußen, als erwarte sie jemand. Sie hielt das Gesicht dicht vor den Spiegel, hauchte ihn an. Sie verließ die Toilette und kaufte sich ein Sandwich, doch sie merkte, dass sie nicht hungrig war. Draußen schien gerade die Sonne und blendete, wenn sie auf dem nassen Schnee reflektierte. Dauernd donnerten schwere Lieferwagen vorbei, gegenüber lagen schmutzigbraune Wiesen und in der Ferne sah man graugrüne Nadelwälder. In der Luft hing ein schwerer Geruch nach Benzin und Öl. Sie stand verloren auf dem Asphalt und starrte auf die vorbeirauschenden Autos, auf die grauen Wände des Rasthauses, die mit primitiven Graffiti und Initialen vollgeschmiert waren.
Mara dachte an die letzte Zeit zurück und spürte, dass sie trübsinnig wurde. Tränen, die sie eisern zurückhielt, brannten in ihrer Kehle, der Boden schien unter ihr zu beben.
Ein Lastwagenfahrer lächelte ihr zu, er trug einen dunkelblauen Strickpulli und sein Gesicht war voller Aknenarben, er hob den Daumen, um ihr zu signalisieren, dass sie ihm gefiele. Mara bewegte sich nicht, sie stand unschlüssig vor ihrem Auto, sie beachtete den Mann nicht.
Schnell stieg sie in ihr blaues Auto und fuhr weiter. Sie beschleunigte schnell. Ihre Gedanken begannen anzuschwellen, sie hasste sich dafür. Mit einer nervösen Handbewegung strich sie durch ihr Haar und ihre verworrene Doktorarbeit fiel ihr wieder ein, sie lag hinten in einem zerbeulten Schuhkarton. Sobald sie daran dachte, zog die Erschöpfung sie nach unten tiefer in den Sitz, ihr Herz trommelte unstet. Der Nachmittag ging zu Ende und eine trübe Dämmerung kroch herauf, Mara fror, wenn sie an die Vergangenheit dachte . Und das Schlimmste war, sie empfand keinerlei Zuversicht mehr. Der ganze Kofferraum war vollgestopft mit Büchern.
Die fremde Stadt lag vor mir wie eine dunkle Mauer.
Der Schnee ging über in Regen, das gleichmäßige Geräusch der Scheibenwischer wirkte leicht einschläfernd. Sie grübelte warum Jean sie verlassen hatte, alles in ihrem Leben war liegen geblieben, unbeantwortete Briefe und E-Mails, unbezahlte Rechnungen.
Je näher die Stadt kam, desto unbehaglicher fühlte sie sich. Ihr Magen zog sich zusammen, sie sah sich plötzlich wieder vor dem Universitätsgebäude herumwanken, angetrunken und angeekelt von den anderen und sich selbst. Sie trug eine fleckige Wildlederjacke, eine Tasche war angerissen. Der Alkohol brannte sauer in ihrer Kehle und dann hatte sie sich auf offener Strasse übergeben. Sie war durch die Straßen hinter der Universität geirrt wie eine Obdachlose, sie hatte sich verbraucht gefühlt, alles war eine Qual. Kurz danach beschloss sie, den Studienort zu wechseln, aus diesem Lehrstuhl wieder zu flüchten. Sie flüchtete schon ihr ganzes Leben. Sie war traurig.
Mara fröstelte wieder und suchte einen anderen Musiksender, sie fand nur eine beschwingte Operettenmelodie, die sie in ihrer Fröhlichkeit nicht ertragen konnte. Ihr Leben hatte keinen festen Grund.
Das Mondlicht fiel ins Auto, glänzte kalt. Sie fuhr durch dichte Waldstücke, die sie in ihrer windbewegten Kälte erdrückten. Sie sprach mit sich selbst über Belanglosigkeiten, ihre Worte trieben in die Dunkelheit hinein.Die Angst kroch in ihr hoch, der Boden unter ihren Füssen schien langsam wegzugleiten. Sie verkrampfte ihre eiskalten Zehen in den dünnen Halbschuhen.

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